Toppi’s Sportsbar, Rivenich an der Mosel

Die Köpfe gehen nach unten, als wir nach Klaus Toppmöller fragen. Fast 400 Kilometer sind wir gefahren, erst die A7 hinunter, dann am Rhein entlang und später an den Weinbergen der Mosel vorbei. Im Landgasthof Wey wollen wir uns stärken. Man ist gut zu uns. Es ist ein heißer Sommer, auch hier in Rivenich, unweit von Trier. Doch der Innenhof des Gasthauses spendet Schatten und der Kuchen schmeckt gut. Die Leute sprechen Dialekt, aber über den berühmtesten Sohn des Ortes, Klaus Toppmöller, wollen sie nicht reden. „Der hatte da vorne eine eigene Kneipe“, sagt einer, „aber die ist nicht mehr.“ Dann nimmt der Mann wieder einen Schluck aus seinem Bierglas. Die Blicke der anderen Männer am Tresen verraten ihm: Du hast schon zu viel gesagt.

„Toppi’s Sportsbar“ erreichen wir zu Fuß in nicht einmal fünf Minuten, sie ist nicht weit entfernt. Aber was ist in einem Ort mit 700 Einwohnern schon weit entfernt? Im Dorf ist unsere Ankunft nicht unbemerkt geblieben, überall auf dem Weg zur Sportsbar sieht man Menschen hinter ihren Gardinen verschwinden. Auf den Straßen selbst ist kein Mensch. Rivenich wirkt wie ausgestorben.

Die Tische sind gedeckt

Moselstraße 19. Die Bilder an der Häuserfront erinnern an Sportstudio-Grafiken aus den Achtzigerjahren, das riesige Logo von Toppi’s Sportsbar lässt uns wissen, dass wir hier richtig sind. „Die ist nicht mehr“, hatte der Mann am Tresen über Toppi’s Sportsbar gesagt, Glauben schenken möchten wir ihm nicht. Durch die Fenster sieht man gedeckte Tische, im Aushang streckt Toppi auf einem ausgeblichenen Flyer den Daumen nach oben und preist Pizza, Pasta und Salate an. Man sieht zwar keinen Menschen, die Lichter sind aus – aber sind sie gänzlich erloschen? Oder öffnet Toppi doch in ein paar Minuten?

Wir gehen um das Haus. Die erste Tür ist verschlossen, aber es gibt eine zweite: Sie lässt sich öffnen. Der typische Kneipengeruch schlägt uns entgegen, das verwundert wenig. Jahrzehntelang wurde hier Skat gedroschen und Bier getrunken, „Salmtal-Schänke“ hieß die Gaststätte, bevor Toppmöller sie 2002 renoviert und zur Sportsbar gemacht hat. Seine Eltern hatten die Kneipe geführt, als Toppmöller in diesem Haus geboren wurde und sie standen noch hinter der Theke, als er das Studium des Bauingenieurwesens beendete.

Still ist es, auf unsere Rufe reagiert niemand. Der Eindruck, der mit einem Blick durch die Fenster entstanden ist, wirkt wie eine Farce, als wir das Licht einschalten. Die hellen Tische in Toppi’s Sportsbar sind zwar gedeckt, aber sonst dient der Gastraum als Abstellraum. Bierkisten stapeln sich in der einen Ecke, ein alter Besen steht in der anderen. In Toppi’s Sportsbar ruht der Zapfhahn, hier wurde schon seit Monaten kein Bier mehr getrunken. Die Kneipe erlebte schon einmal eine Flaute: Als Toppmöller von der A-Jugend des SV Rivenich nach Trier wechselte, boykottierten die Vereinsbrüder die Kneipe des Vaters. Aber das ist schon lange her. „Ein paar Fotos und weg hier“, sage ich zu meiner Frau, aber keine zwei Minuten später habe ich meine Meinung geändert, die Verlockung ist zu groß. Zu viele Türen, die geöffnet werden wollen, zu viele Schränke, in denen etwas lauern könnte: Toppmöllers Auszeichnung zum Trainer des Jahres zum Beispiel oder das Trikot von Patrick Kluivert, das dieser ihm nach einem Champions League-Spiel schenkte. Die Neugier setzt der Fantasie keine Grenzen.

Wo war Klaus Toppmöller?

Die Ernüchterung ist groß, als wir nur Gläser, Aschenbecher und Bierdeckel finden. Abwechslung verspricht noch ein Schrank hinter der Theke, der mit Leitz-Ordnern vollgestopft ist. „Pachtverträge“ wurde auf die einen, „Lieferanten“ auf die anderen geschrieben. Ein Ordner fällt aus der Reihe, er ist etwas dünner als die anderen und nicht mit Schreibmaschine, sondern mit Hand beschriftet. „31. Mai 1976“ steht darauf. Ich ziehe ihn heraus und lege ihn auf die Theke. Vor wenigen Monaten hat die „11 Freunde“-Ausgabe 182 die letzten Geheimnisse des Fußballs gelüftet, darunter auch, was mit Toppmöller am 31. Mai 1976 passiert war. „Wo war Klaus Toppmöller in den 17 Stunden nach seinem Unfall?“, lautete der Titel der Geschichte, die erzählt, dass er auf einem Volksfest war, dieses kurz vor Mitternacht verließ und auf dem Heimweg frontal in ein entgegenkommendes Auto gedonnert war. Erst am Nachmittag des Folgetages tauchte Toppmöller wieder auf, lange Zeit galt als rätselhaft, was er in den 17 Stunden davor getan hat. „Ich bin raus aus dem Auto und wollte Hilfe holen“, erzählte Toppmöller der 11 Freunde, danach sei er unter Schock durch den Wald geirrt und hätte sich verlaufen. Ob seine Geschichte stimmt? Die Wahrheit scheint in einem Leitz-Ordner direkt vor uns zu liegen.

Zeitungsartikel folgt auf Zeitungsartikel, einer ist aus dem Spiegel und erschien am Tag vor der Unfall. Die Überschrift lautet „Das wird einer“, dabei hat der Unfall an jenem Tag Toppmöllers Nationalmannschaftskarriere zerstört. Hat er den 1. FC Kaiserslautern auch einen Titel gekostet? Am Ende der Saison 1975/76 hatte der Verein mit einem heftigen Leistungseinbruch zu kämpfen. Wir können mit unseren Smartphones ermitteln, dass Kaiserslautern nach Toppmöllers Unfall die letzten beiden Saisonspiele und das DFB-Pokal-Endspiel gegen den HSV verlor. Toppmöller hatte 6 Tore im Pokal und 22 in der Bundesliga erzielt und war so etwas wie die einzige Trumpfkarte für den Pokalsieg. Wir blättern weiter und finden ein Schreiben, mit Schreibmaschine getippt und dem HSV-Emblem in der rechten, oberen Ecke. Doch die Schrift ist schwer zu erkennen, es scheint die Kopie der Kopie einer Kopie zu sein, vereinzelte Passagen sind geschwärzt. Die Wörter „Bunker Nordstern“ kann ich erkennen, „Bunker Nordstern?“, sage ich zu meiner Frau, doch eine männliche Stimme antwortet. „Ja, Bunker Nordstern!“ Eine Hand fährt zwischen uns hindurch und klappt energisch den Ordner zu. Dann zündet sich Klaus Toppmöller eine Marlboro an und lehnt sich auf den Tresen.

17 Stunden verschollen

„Der Unfall war inszeniert“, sagt er und blickt dabei in die Leere des Raumes. „Der HSV hat die Sache veranlasst, das steht alles hier drin.“ Toppmöller zieht an seiner Zigarette und erzählt weiter: „Der HSV hatte im Mai 1976 zwei Spiele hintereinander verloren. Der letzte Titel lag ewig zurück, die wollten auf Nummer sicher gehen. Nach der Heimniederlage am Tag vor dem Unfall hatten sie die letzte theoretische Chance auf die Meisterschaft verspielt. Also musste es zumindest der DFB-Pokal sein.“ Toppmöller dreht sich und sieht uns an. „Die hatten sich als Polizei getarnt, mich angehalten und aus dem Auto gezerrt. Dann ließen sie die Karren aufeinanderprallen, der Amerikaner im Fiat war gekauft, ich musste mitansehen, wie mein Ferrari vor die Hunde ging. Dann schleppten sie mich in den Wald und sperrten mich in einen Bunker. Da haben sie mich dann festgehalten und erpresst. Und als ich mich nicht erpressen ließ, haben sie zugeschlagen und damit gedroht, dass das auch der Rosi passieren wird.“ Er zieht noch mal an der Kippe, dann drückt er sie aus. „Warum hatte ich wohl keine Knochenbrüche?“, fragt er uns, „warum bin ich wohl 17 Stunden verschwunden und dann in der Geschäftsstelle des FCK wieder aufgetaucht? Das ergibt doch gar keinen Sinn.“

„Und warum haben Sie das nicht so gemeldet?“

„Weil es mir niemand geglaubt hätte. Und Euch wird das auch niemand glauben. Deshalb werdet Ihr das auch für Euch behalten. Und jetzt raus hier.“

Wir gehorchen ihm und gehen aus dem Raum. Toppmöller bleibt direkt hinter uns. Unter seinem Arm trägt er den Leitz-Ordner.

Anschrift: Moselstraße 19, 54518 Rivenich

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