Kirchenfenster mit dem heiligen Aloisius, Gelsenkirchen-Schalke

Die zweite Hälfte war schon in vollem Gange, als Reporter-Legende Manni Breuckmann an jenem denkwürdigen Tag im Mai 2001 den religiösen Beistand ins Spiel brachte: „Hat wahrscheinlich doch was geholfen“, sagte Breuckmann in der Radiokonferenz, „dass Charly Neumann eine Kerze in der St. Urbanus-Kirche in Gelsenkirchen-Buer angesteckt hat“. Schalke hatte gerade einen 0:2-Rückstand gegen Unterhaching in ein 3:2 verwandelt und durfte wieder hoffen. Auf die erste Deutsche Meisterschaft in der Bundesliga. Auf den achten Meistertitel überhaupt.

Das Ende der Geschichte ist bekannt. Das Anzünden der Kerze hat in der Tat geholfen, allerdings nur für vier Minuten. Und der FC Schalke 04 wartet bis heute. Auf die erste Deutsche Meisterschaft in der Bundesliga. Auf den achten Meistertitel überhaupt. „Wenn es einen Fußballgott gibt, ist er ungerecht“, schluchzte Rudi Assauer damals in die Fernsehkameras und kreuzigte den Herrn persönlich: „Der ist für mich gestorben!“

Danach war mein Leben für die nächsten 6 Monate im Arsch.

Schalke-Fan Tammo in »Begeisterte Mitarbeiter: Wie Unternehmen ihre Mitarbeiter zu Fans machen«

Für viele andere Schalker nicht. Vor jedem Heimspiel besuchen sie die St. Joseph-Kirche an der Kurt-Schumacher-Straße, direkt in Schalke, und beten für drei Punkte. Was die Frage aufwirft: Wenn Charly Neumann vor dem Meisterschaftsfinale 2001 tatsächlich eine Kerze anzündete, warum tat er dies in der St. Urbanus-Kirche im Stadtteil Buer, wenn es doch unweit des Schalker Markts die St. Joseph-Kirche gibt?

Seit 1953 steht die St. Joseph-Kirche wieder hier, nachdem sie 1888 eingeweiht und am 6. November 1944 zerbombt wurde. Es war (nach einer Notkirche auf einem Grundstück der Zeche Consol) der erste katholische Kirchenbau in Schalke. Die Arbeiter, die mit der Industrialisierung ins Ruhrgebiet kamen, brauchten einen Ort für ihre Messfeiern, Friedrich Grillo, der Begründer der Schalker Industrie, stellte sowohl das Baugrundstück als auch 60 000 Reichsmark zur Verfügung.

Maloche und Fußball als Identitätsstiftung

Im Zuge des Wiederaufbaus in den Fünfzigerjahren erhielt die St. Joseph-Kirche neue, vom Kunstmalermeister Franz Klocke entworfene Fenster, die sich mit den Themen auseinandersetzen, die für das Schalke der Nachkriegszeit Relevanz besaßen: Maloche – und eben Fußball. So ziert der heilige Aloisius ein 1959 gestaltetes und 1960 eingesetztes Kirchenfenster, also unmittelbar nach der letzten Schalker Meisterschaft im Jahr 1958. Aloisius trägt Fußballschuhe und dazu blau-weiße Stutzen, vor ihm liegt ein Fußball.

Das Motiv ist so imposant, dass es Olivier Kruschinski auf seiner Wade trägt. Wenn es um die Schalker Meile und die Kampfbahn Glückauf geht, taucht sein Name immer auf. Seine Mythos-Tour beginnt in der St. Joseph-Kirche – zumindest bis zum Jahresende 2019, denn dann macht sie dicht. „So eine Kirche ist ein finanzielles Fass ohne Boden“, erklärt Kruschinski. Dennoch herrscht bei ihm Unverständnis darüber, dass in den Umbau des Berger Felds 95 Millionen Euro fließen, während ein authentisches Stück Schalker Fußballgeschichte schließen muss: „Wenn der FC Bayern so ne Kirche hätte, hätte der Uli Hoeneß das Ding vermarktet und Kohle ohne Ende gemacht“, ist er sich sicher.

Das Kirchenfenster mit dem heiligen Aloisius war lange Zeit uninteressant

Nicht weniger sicher ist er bei der Antwort auf die Frage, warum Charly Neumann im Mai 2001 in der St. Urbanus-Kirche und nicht in der St. Joseph-Kirche zündelte: „Ohne mir und meinem Engagement »FÜR Schalke – IN Schalke« allzu viel Honig um den Mund zu schmieren, aber die Kirche St. Joseph sowie letztlich Schalke selbst hat seit dem Auszug aus der Kampfbahn Glückauf jahrzehntelang niemanden interessiert. Aufmerksamkeit erlangte das Fenster erst wieder durch die Einbindung in meine Touren und das damit verbundene mediale Aufkommen, gleichzeitig das damit verbundene Spieltagsprojekt Offene Kirche – aber Familie Neumann wird ganz sicherlich eine andere Erklärung dafür haben.“

Zumindest hat die Manni Breuckmann: „Das hab ich damals wirklich gesagt? Ich kann mich nicht erinnern, das Wort St. Urbanus jemals in den Mund genommen zu haben“, ist er etwas verdattert. Dann schickt er eine schlüssige Erklärung hinterher: „Der Charly hat in Buer gewohnt. Das ist vermutlich die Lösung, auch wenn die letztendlich viel zu profan ist.“

Anschrift: Kirchenfenster mit dem heiligen Aloisius, St. Joseph-Kirche, Grillostraße 62, 45881 Gelsenkirchen

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